RÜCKBLICK

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Mit neuem Titel feierte INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL vom 13. bis 16. Februar 2025 sein 10-jähriges Jubiläum. Dem Motto „Reaching for the Stars. Indigenous Cinema on the Rise” folgend stellte es mit einem breiten Spektrum an Themen und Genres aktuelle Produktionen indigener Filmschaffenden einem europäischen Publikum vor.

Einzigartig in Europa richtet sich INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL mit seinem vielseitigen Film- und Rahmenprogramm an eine breite interessierte Öffentlichkeit. Es gibt indigenen Menschen eine eigene Stimme und indigenen Akteuren Gelegenheit, ihre Lebenswelten anhand des Mediums Films und weiterer künstlerischer Ausdrucksweisen vorzustellen.

INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL konnte 2025 folgende großartigen Gäste aus den USA und Kanada begrüßen:

Brian Adams, Iñupiaq, Fotokünstler; Anchorage, Alaska;

Tiffany Kuliktana Ayalik und Kayley Inuksuk Mackay, Inuit, Film- und Musikkünstlerinnen, Gesangsduo PIQSIQ, das den traditionellen Inuit Kehlkopfgesang (Katajjaq) modern interpretiert; Yellowknife, North West Territories;

Desmond Ukkuq Mackay und Aku Ayalik, Mitglieder der „PIQSIQ-Familie“;

Katsitsionni Fox, Mohawk, Filmemacherin, Künstlerin; Mohawk Nation Territory of Akwesasne; New York State;

Jack Kohler, Hoopa Valley Tribe, Filmemacher, Fotograf, Autor; Forestville, Kalifornien;

James Lujan, Taos Pueblo, Filmemacher, Dramatiker, Direktor der Abteilung “Cinematic Arts and Technology” des Institute of American Indian Arts; Santa Fe, New Mexico;

Julie McIssac, Regisseurin, Dramaturgin, Librettistin, Multiinstrumentalistin; Vancouver, British Columbia;

Corey Payette, Mattagami First Nation, Autor, Komponist, Sänger, Regisseur; Vancouver, British Columbia;

Pete Sands, Navajo, Filmemacher und Musiker; Moab, Utah.

Jeremy Williams, Filmemacher, Produzent, Fotograf, Sportjournalist; Bristol, Connecticut.

Mit Julie McIssac und Jeremy Williams waren zum ersten Mal auch nicht-indigene Filmschaffende zu Gast, die sich durch eine enge, auf Vertrauen und Augenhöhe aufgebaute Zusammenarbeit mit indigenen Filmschaffenden ausgezeichnet haben.

Das Rahmenprogramm mit attraktiven Kulturprogrammen wurde in Zusammenarbeit mit den Gästen des Festivals gestaltet: das Künstlergespräch mit dem Iñupiaq-Fotografen Brian Adams in der Ausstellung „I am Inuit“, die Podiumsdiskussion „From Lacrosse to Katajjaq: The Role of Games and Sports Among Indigenous Peoples“ mit Katsitsionni Fox, Jeremy Williams, Jack Kohler, Kayley Inusuk Mackay, Desmond Ukkuq Mackay und Dr. Nina Reuther als Moderatorin, der Konzertabend “Songs of the Land” mit dem Navajo-Singer-Songwriter Pete Sands und dem Katajjaq-Gesangsduo PIQSIQ mit Tiffany Kuliktana Ayalik und Kayley Inusuk Mackay sowie dem Workshop für Pädagog*innen mit Tiffany Kuliktana Ayalik, James Lujan, Jack Kohler und Pete Sands.

Die vielschichtigen Erfahrungen der indigenen Gäste wurden ergänzt durch ein facettenreiches Filmprogramm.

Eine Reihe von Filmen richteten ihren Fokus auf historische Ereignisse. So etwa „The Reign of Terror“ von Boots Kennedye auf die Ermordung von Osage-Frauen in den 1920er Jahren, um an deren Land und Erdöl-Reichtum zu gelangen oder auch „Techqua Ikachi, Land – Mein Leben“ von Anka Schmid, James Danaqyumptewa, Agnes Barmettler auf den gewaltlosen Widerstand der Hopi gegen die von der US-Regierung geplante Landenteignung Anfang des 20. Jahrhunderts. Ebenfalls historische Themen wurden in zwei innovativen Produktionen vorgestellt. Mit der Rockoper „Something Inside is Broken“ präsentierten Jack Kohler und Megan Chesnut die Situation der Indigenen Kaliforniens in der Zeit des Goldrausches und das Musical „Les Filles du Roi“ von Corey Payette und Julie McIsaac führte das Publikum in das Jahr 1665 zurück, als der französische König „Töchter“ seines Landes in die Kolonie Neufrankreich schickte, um dort die französische Kultur zu verankern.

Seit Gründung des Filmfestivals ist die erzwungene Unterbringung indigener Kinder in Umerziehungseinrichtungen und deren dramatische Auswirkungen ein zentrales Thema, das Filmemacher*innen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. 2025 zeigten insbesondere „Sugar Cane“ by Julian Brave Noisecat und „Bones of Crows” von Marie Clements, welch menschenverachtender Geist in diesen „Residential Schools“ bzw. „Boarding Schools“ vorherrschte und bis heute seine Schatten wirft.

Mit diesen tiefgreifenden historischen Erfahrungen widmen sich insbesondere Dokumentarfilme der Resilienz indigener Menschen und ihrem Engagement, kulturelle Werte wieder zu stärken. Katsitsionni Fox stellte mit ihrem Film „Ohero:kon – Under the Husk“ vor, wie Übergangszeremonien wiederbelebt werden, um junge Mädchen auf dem Weg in das Erwachsenenalter zu begleiten. In seiner Produktion „Sacred Dog“ dokumentiert Jeremy Williams junge Lakota, die sich in gefährlichen Pferderennen mit ihren indigenen Nachbarn messen und ihre Meisterschaft im Umgang mit Pferden zu beweisen. Wie sich eine junge Siksika-Frau den Weg in diese von Männern beherrschte Domäne bahnt, zeigt der Film „Aitamaako’tamisskapi Natosi: Bevor the Sun“.

Zahlreiche Filme thematisieren die Balance des indigenen Nordamerikas zwischen dem modernen Leben und der Bewahrung überlieferter Werte. So beleuchten einige die unterschiedlichen Erfahrungswelten indigener Bewohner*innen in der Stadt und in der Reservation. Andere werfen ein Licht auf aktuelle Themen, die in Europa wenig wahrgenommen werden. So die zahlreichen unaufgeklärten Fälle vermisster und ermordeter indigener Frauen und Mädchen. Dieses schwierige Thema hat auch Jack Kohler in seinem Spielfilm „Gift of Fear“ aufgegriffen. In „Our Sacred Obligation – Children of the Setting Sun“ von Jordan Riber geht es um den Widerstand der indigenen Völker im Norden Kaliforniens, die sich für den Erhalt der Lachspopulation und damit gegen den Bau von Staudämmen einsetzt. In „Pretendians“ macht Drew Hayden Talor auf Personen aufmerksam, die eine indigene Identität vortäuschen.

Sehr aktuell sind auch Filme, die zeigen mit welch tiefgreifenden Veränderungen die Menschen in der Arktis fertig werden müssen. Denn der Klimawandel stellt die Bevölkerung bereits seit Jahren vor dramatische Herausforderungen sowohl hinsichtlich ihrer Umwelt als auch ihrer sozialen Beziehungen und kulturellen Werte.

Eindrucksvoll sind auch Film-Porträts von Künstlerpersönlichkeiten wie der Fotografin Cara Romero, der Malerin Dr. Lana Whiskeyjack, dem Silberschmied Erik Lee oder der Sängerin Elisapie Isaac. Ihre Werke sind ein beeindruckender Ausdruck kultureller Stärke.

Auch 2025 stellte James Lujan, Leiter der Abteilung Cinematic Arts and Technology des Institute of American Indian Arts in Santa Fe, erneut fünf aktuelle Kurzfilme seiner Studierenden persönlich vor. Mit einem hohen Maß an künstlerischem Talent, kultureller Sensibilität und technischem Können beeindrucken diese Produktionen als moderne visuelle Form des traditionellen Storytellings.

Das Motto „Reaching for the Stars” kam in zahlreichen Produktionen explizit zum Ausdruck, wie in dem Animationsfilm „Time Traveller“ von Skawennati, der eine futuristische Projektion von Lebenswelten aus indigener Sicht vorgestellt.

Ein Highlight war erneut die Sonntags-Matinee-Veranstaltung, in der 17 Musikvideos präsentiert wurden und das Publikum im Anschluss für das Beste Musikvideo“ votierten. Den Publikumspreis hat 2025 die musikalische Produktion „I Can’t Remember My Name“ der Snotty Nose Rez Kids (feat. Shanks Sioux) erhalten.

Im Rahmen der Closing Night erfolgte dann auch die öffentliche Verleihung der Preise in ausgewählten Kategorien.

Als Jurys sichteten Studierende der Universitäten Bremen (Anglistik/Amerikanistik), Konstanz (North American Studies / Literatur, Kunst Medien) und Tübingen (Anglistik) ausgewählte Filme und bewerteten sie kritisch nach gesellschaftspolitischer Relevanz, Erkenntnisgewinn, künstlerischem Ausdruck und filmtechnischer Qualität.

Ihr Votum für die Preisverleihung 2025 fiel auf folgende Filme:

Die Jury der Universität Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Knopf wählte als besten Spielfilm „Bones of Crows“ von Marie Clements, der anhand der Lebensgeschichte von Aline Spears (Cree) das durch die aufgezwungene Assimilierung entstandene intergenerationelle Trauma, aber auch die unbrechbare Resilienz sehr eingehend thematisiert.

Die Jury der Universität Konstanz unter der Leitung von Dr. Eva Gruber wählte als besten Kurzspielfilm „Mis Tik“ von Dr. Jules Koostachin, der bildgewaltig die Absicht junger Menschen zeigt, die Welt am Leben zu halten.

Die Jury der Universität Tübingen unter der Leitung von Dr. Isabell Klaiber wählte als besten Dokumentarfilm „One with the Whale“ von Jim Wickens, Peter Chelkowsi und Yaari Walker. Dieser Film zeigt wie ein junger Jäger seinen ersten Wal harpunierte und dieses in den sozialen Medien von seiner Familie gepostet wird. Während er auf der St. Lawrence Insel gefeiert wird, für die der Walfang überlebenswichtig ist, wird der junge Yupik von Aktivisten in den sozialen Medien gnadenlos attackiert.

Den Sonderpreis für den besten Kurzfilm des Institute of American Indian Arts, Santa Fe, New Mexico, vergab die Jury aus Dr. Nina Reuther, Melika Rezapour und Dr. Sonja Schierle an „Rise of the Tower House” von Tyrell Etsitty. Eindrucksvoll macht der Film auf den Uranabbau auf Navajo-Land und die somit frei gesetzten Kräfte aufmerksam.

Bereits am Freitag vergab die Schüler*innen-Jury des Albert-Einstein-Gymnasiums Reutlingen unter der Leitung ihrer Lehrerin Iryna Miller den Preis für den besten Kinderfilm an „Məca“ von Richie Hemphill und Ryan Haché. Dieser Animationsfilm erzählt von einem Nerz, der sich verstellt, um einen potentiellen Liebespartner zu beeindrucken, eine Geschichte der indigenen Bewohner*innen von Vancouver Island. Begleitet wurde diese Preisverleihung von Katsitsionni Fox als UNICEF-Repräsentantin und Lisa Wolfgarten Kolmorgen in Vertretung für Petja Pucci, Leiterin der UNICEF-Arbeitsgruppe Stuttgart.

Die individuell gestalteten Preisskulpturen fertigte auch 2025 die Keramikkünstlerin Karin Ecker (Zauberhaus, Deggenhausen) an.

Seit seiner Gründung im Jahr 2004 pflegt das Organisationsteam von INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL eine enge Verbindung zu Kooperationspartnern, die als etablierte Kulturinstitutionen ihre Expertise und Professionalität einbringen: Linden-Museum Stuttgart, Deutsch-Amerikanisches Zentrum/James-F.-Byrnes-Institut e.V. Stuttgart, UNICEF Arbeitsgruppe Stuttgart sowie die vhs Stuttgart im Treffpunkt Rotebühlzentrum.

In den USA und Kanada kooperiert INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL mit dem American Indian Film Institute and Festival, San Francisco, Kalifornien, und dem Dreamspeakers International Aboriginal Film Festival, Edmonton, Alberta, als Schirmherrschaften sowie mit dem Institute of American Indian Arts, Santa Fe, New Mexico.

Essentiell wichtig ist die Kooperation mit der vhs stuttgart als „Filmort“, mit seiner professionellen technischen Ausstattung und Betreuung, der Bereitstellung von Infrastruktur und Administration. Die Zusammenarbeit des Festivalteams mit Hannah Becker und ihrem Team war sehr konstruktiv und ausgesprochen angenehm.

Unterstützt wird INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL im Weiteren vom Kulturamt Stuttgart, der Botschaft von Kanada in Deutschland, dem Native Nordamerika Museum in Zürich, Incomindios, der Gesellschaft für Kanadastudien, der Gesellschaft für Bedrohte Völker e.V., der Aktionsgruppe Indianer und Menschenrechte und dem Kulturzentrum K9 in Konstanz. Doch unentbehrlich für das Bestehen des Festivals ist das grenzenlose Engagement der Ehrenamtlichen, die das Festivalteam ausmachen und bereit sind, ihre Zeit und individuellen Fähigkeiten konstruktiv einzubringen. Ihnen allen gilt unser ganz großer Dank.

INDIGEN: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL war zu seinem 10. Jubiläum 2025 mit der bislang höchsten Anzahl von 4.111 Besucher*innen ein großer Erfolg. Schriftliche Rückmeldungen unterstreichen den hohen Informationswert des Festivals. Zudem bringen die indigenen Gäste ihre große Anerkennung und Dankbarkeit zum Ausdruck, dass sich das Festival als einziges in Europa für ihre Belange einsetzt und Indigenen Nordamerikas ein Forum gibt, wo ihre Stimme gehört wird.
Wir danken der vhs Stuttgart, die als Gastgeberin den Robert-Bosch-Saal und Aufenthaltsräume zur Verfügung stellte. Auch danken wir allen, die das Festival besucht und mit privaten Spenden unterstützt haben.

Organisationsteam: Gunter Lange, Dr. Sonja Schierle, Dr. Nina Reuther

 

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