INDIANER INUIT: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL
Festivalgäste 2007 / 2020

Tantoo Cardinal

Dem indianischen Film eine Stimme geben

Am 4. März 2006 verlieh das Harvard Film Archiv den „Sun Hill Award“ an Tantoo Cardinal und würdigte damit die kanadische Schauspielerin für ihre erfolgreiche Karriere und ihre außergewöhnlichen Leistungen im indianischen Filmbusiness Nordamerikas.

Tantoo CardinalNur eine von unzähligen Auszeichnungen, mit welcher die wohl bekannteste und beliebteste indianische Schauspielerin in ihrer Karriere geehrt wurde. Seit mehr als 35 Jahren widmet sich die Mutter von drei inzwischen erwachsenen Kindern der Schauspielkunst.

Tantoo Cardinal weiß um ihre Verantwortung. Ihr Bekanntheitsgrad macht sie zum Vorbild vieler junger Talente, die in „Indian Country“ aufwachsen. Ihre Filmografie liest sich beeindruckend: Mehr als 55 Produktionen stehen auf der langen Liste ihres Filmschaffens. Die vielen TV-Serien und Filmdokumentationen, in denen sie mitgewirkt hat bzw. denen sie ihre Stimme verliehen hat, gar nicht mitgezählt. Filme wie z. B. „Black Robe“, „Where The Rivers Flow North“ und das Epos „Der mit dem Wolf tanzt“, gelangten zu Weltruhm.

Dabei ist es gerade auch Tantoo Cardinals Stimme, die sie unverwechselbar macht und wodurch sie sich von ihren Kolleginnen unterscheidet. Ein Singsang in kanadisch-englischem Dialekt, mal ausgesprochen lyrisch, mal betont derb und dann wieder scherzhaft-ironisch. Eine Bandbreite an stimmlicher Ausdruckskraft, die fasziniert und die Sinne und Gefühle anspricht.

„In Fort McMurray, Alberta, Kanada, wo ich in den 50ziger Jahren aufwuchs, gab es keine Fernsehgeräte. Die einzigen Eindrücke und Bilder von Indianern, die sich mir darstellten, waren die meiner Familie und die meiner Verwandten. Wundervolle, starke Menschen, zu denen ich aufsah und an denen ich mich orientierte,“ sagt Tantoo Cadional. „Erst, als ich 1965 in die Stadt, nach Edmonton zog, erhielt ich einen differenzierten Einblick in indianische Lebensweisen, wie sie damals in der kanadischen Gesellschaft vorzufinden waren. Leute, die keinen festen Wohnsitz hatten, deren Selbstvertrauen verletzt war und, die sich weniger Wert als andere Menschen fühlten.

Insofern war es immer mein Anspruch an Schauspielerei, diese unterschiedlichen Wahrheiten aufzugreifen, um den stereotypen Darstellungsformen in Film, Fernsehen und auf der Theaterbühne etwas entgegen zu setzen, um damit unsere eigenen indianischen Geschichten in ein differenziertes Licht zu rücken.“

Eigentlich sollte man meinen, dass eine Kapazität wie Tantoo Cardinal, die mit zahlreichen Auszeichnungen für ihr Filmschaffen bedacht wurde, keinerlei Sorgen haben dürfte, Rollenangebote zu erhalten; aber diesem Eindruck widerspricht sie ganz entschieden: „Schauen sie sich die Filmindustrie an. Frauen über 40 und dazu noch indianischer Herkunft?

Wer will die denn im Fernsehen oder auf der Leinwand sehen? Wer schreibt für unsereins annehmbare Drehbücher?“, fragt sie und kritisiert insbesondere die Filmindustrie Hollywoods, wo sie Mitte der 80ziger Jahre für eine kurze Zeit lebte. „Die Verantwortlichen dort setzen uns auf eine Liste, die sich „Ethnic Women“ nennt. Da ist man dann von vornherein nur zweite oder dritte Wahl. Als „First Nations“ (so nennen sich die Indianer Kanadas) sollen wir dann die Rollen von Asiatinnen, Polynesierinnen, Latinos, oder sogar Afrikanerinnen übernehmen. Über diese Dinge rege ich mich furchtbar auf!

Tantoo CardinalEnde der 60ziger bzw. Anfang der 70ziger Jahre begann ich zu experimentieren. Das hatte politischen Hintergrund. Zu jener Zeit war die Indianerbewegung am stärksten. Ich begann mich für Geschichte zu interessieren, las viel und fand heraus, wie schlecht die indigenen Völker Nordamerikas von den Regierungen behandelt wurden. Es war eine Zeit der Dunkelheit und der Frustration. Ich engagierte mich politisch und erhob meine Stimme für Gerechtigkeit. Unser gemeinsames Eintreten dafür zeigte Wirkung.

In Kanada wurden Gesetze verändert und eine größere Offenheit gegenüber den Interessen der „First Nations“ war spürbar. Ein Resultat jener Veränderungen war z. B., dass man erstmals indianische Filmrollen mit indianischen Darstellern/innen besetzte.

Ich denke, dass wir als Schauspieler/innen den Mut aufbringen sollten, Einfluss auf Rollen und Darstellung zu nehmen, um stereotype Verhaltensmuster und fest zementierte Strukturen zu ändern.

Das ist harte Arbeit und kein einfacher Weg; aber es hilft, die Wahrheit über uns als „First Nations“ herauszufinden. Wir dürfen den indianischen Holocaust nicht mehr verschleiert lassen und können es auch nicht mehr hinnehmen, dass wir monotone und einseitige Charakterrollen spielen. Ich bin es leid, diese stereotypen Rollen von indianischen Frauen darzustellen, die einsilbig sprechen. Das ist eine Respektlosigkeit sondergleichen und macht deutlich, wie wenig die Leute über die Stellung der Frau in indianischen Gesellschaften wissen:

“Fragt man Tanto Cardinal nach ihren Lieblingsfilmen, so nennt sie zuerst – ohne dabei einen Moment zu zögern – die Rolle der „Bangor“ im Film „Where The Rivers Flow North“ (USA 1994, Regie: Jay Craven). Der wohl komplexeste Character einer älteren indianischen Frau, die sie je zu verkörpern hatte. Ans Herz gewachsen ist ihr auch „Big Bear“, eine kanadische Fernsehproduktion von 1998, wo sie als „Running Second“ and der Seite der bekannten kanadischen „First Nations“ Gordon Tootoosis und Lorne Cardinal spielt.

Da Gil Cardinal Regie führte, meinten einige scherzhaft, in der Serie würden sich mehr Kardinäle befinden als im gesamten Vatikan. Erwähnen möchte Tantoo Cardinal ebenfalls den wunderschönen Jugendfilm „Die Abenteuer des kleinen Indianerjungen Little Tree“ (The Education Of Little Tree, USA 1997, Regie: Richard Friedenberg), der nach Motiven des Jugendromans „Der Stern der Cherokee“ entstand und welcher inzwischen in deutscher Fassung auf DVD zu erhalten ist.

Was die kanadische Schauspielerin so besonders sympathisch macht ist, dass sie sich Fehler eingesteht, für die sie in ihrer langjährigen Karriere auch kritisiert wurde. Wer weiß, vielleicht wird sie ja auch einmal dieselben Worte gebrauchen, die sie in der Rolle der Großmutter im Film „The Education Of Little Tree“ sagte:

„Es war gut, aber beim nächsten Mal wird es noch besser!“

Gunter Lange
Künstlerischer Leiter des INDIANER INUIT: DAS NORDAMERIKA FILM FESTIVAL